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Gut Ding will Weile haben...

Unsere Tierheime sind voll mit Katzen, die schon in jungen Jahren viel durchgemacht haben. Auch die Tierschutzvereine haben es nicht leicht, bei der Vermittlung von scheuen Kitten, die einiges an Einfühlungsvermögen brauchen. Diese Tiere finden nur schwer ein geeignetes Zuhause, wo sie mit dem nötigen Fingerspitzengefühl behandelt werden. Kitten haben es da oft noch ein bisschen leichter, sie sind einfach zu niedlich! Erwachsene Katzen, die keine Kuschelmonster sind, haben hingegen keine guten Vermittlungschancen. 

 

Moritz war einer dieser scheuen, kleinen Kater. Um ehrlich zu sein, ist er es immer noch. Eine falsche Bewegung und er flüchtet. Wir haben ihn damals mit 4 Monaten aus dem Tierheim adoptiert und schon im Katzengehege hatten wir die größten Schwierigkeiten, ihn überhaupt einzufangen. Wir waren zu dritt und haben ihn nur mit Müh und Not in die Transportbox befördert. Er wurde irgendwo allein in einem Wald gefunden und anschließend ins Tierheim gebracht. Keine Ahnung, was er bis dahin schon erlebt hatte. Aber ich hatte mich sofort in diesen kleinen, schwarzen Kater verliebt. Er musste einfach mit! Ich weiß nicht, wie andere Menschen reagiert hätten. Hätten sie vielleicht aufgegeben und sich gedacht "Also wenn das schon so los geht, nehm ich lieber eine andere Katze?" Ich habe mich oft gefragt, wie es ihm in einer anderen Familie ergangen wäre. Vermutlich wäre er schnell wieder im Tierheim gelandet. Zum Glück hat er als Wildkatze den Weg zu uns gefunden. Vielleicht Schicksal?

 

Prägungs- und Sozialisierungsphase

Die ersten Lebenswochen eines Kittens sind unheimlich wichtig für ihren späteren Lebensweg. Dort lernen sie ihre Umgebung kennen, gewöhnen sich im besten Fall an den Mensch, lernen im Spiel mit ihren Geschwistern das Jagen, bis sie sich Schritt für Schritt von der Katzenmama ablösen. In der Pubertät entsteht nun die enge Bindung zu anderen Katzen im Haushalt und zum Mensch. Vorausgesetzt, die Katze kennt Menschen überhaupt. 

Ein Kitten, dass erst spät in Kontakt mit Menschen tritt, hat bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Erfahrung im Umgang mit ihm gemacht, vielleicht sogar negative Erfahrungen. In dieser Phase bilden sich die Instinkte für das restliche Leben aus. Natürlich können auch wilde, scheue Katzen sich zu Schmusetigern entwickeln, aber das ist selten der Fall. Sie haben sozusagen kein Urvertrauen in den Menschen. Woher auch? Sie lernen alles von der Katzenmama und wenn diese den Mensch als Gefahr wahrnimmt, übernehmen die Kitten diesen Instinkt.

 

Aller Anfang ist schwer 

Moritz kam zusammen mit Max zu uns, wobei die zwei keine Geschwister waren. Das war für ihn unheimlich wichtig, da er von Anfang an nicht allein und eine bekannte Katze, ebenfalls aus dem Tierheim, bei ihm war. Er hat sich an ihm orientiert und nach ein paar Tagen haben die beiden miteinander gespielt, wenn sie sich unbeobachtet gefühlt haben. Wir dachten anfangs, dass sie nur ein wenig Zeit brauchen, bis sie sich komplett eingewöhnt haben und dann schon zu uns ins Bett finden. Aber damals hatte ich eigentlich gar keine Erfahrung mit scheuen Katzen, ich wusste gar nicht, wie lange so etwas dauern kann. Alle meine Katzen, die ich in meiner Jugend hatte, waren von Anfang an an den Menschen gewöhnt. 

 

Max ist schon recht bald aufgetaut und hatte Freude am Spielen und Kuscheln mit uns. Die Hoffnung, dass Moritz sich dieses Verhalten abschauen würde, haben wir nicht aufgegeben. Nach einigen Wochen haben wir die beiden an die Katzenklappe gewöhnt (im Nachhinein war das definitiv zu früh!) und sie durften raus und rein, wann sie wollten. Bei ihrem ersten Ausflug in die Welt habe ich gezittert vor Angst! Ich dachte nur: "hoffentlich kommen sie zurück..." Aber sie kamen beide immer wieder! Obwohl sich Moritz immer noch nicht anfassen ließ, schien es ihm bei uns zu gefallen. 

 

Nachdem Max leider überfahren wurde, war Moritz erstmal allein und wir alle tieftraurig. Es war eine harte Zeit, in der er auf einmal Kontakt zu uns gesucht hat. Plötzlich lief er uns überall hinterher und kam sogar mal auf die Couch (das war zu diesem Zeitpunkt wirklich eine Sensation)! Da ich damals nicht Zuhause war, war mein Mann ein paar Tage mit Moritz allein. Darauf war niemand von uns vorbereitet und auf einmal musste er sich um einen 6 Monate alten Kater kümmern, der trauert und ganz viel Aufmerksamkeit braucht. Er hat jeden Abend mit ihm gespielt und Moritz hat ihn das erste Mal auf Schritt und Tritt verfolgt. Auf einmal genoss er die Streicheleinheiten und hat aktiv die Nähe gesucht. Vielleicht hatte es auch ein bisschen damit zu tun, dass er immer wieder mal ein Stückchen Wurst bekommen hat. Dadurch hat sich die Bindung zu uns verfestigt. Wir haben ihm aber deutlich angemerkt, dass er einsam war. Zum Glück nicht allzu lange! 

 

Die Jahre vergingen und wir haben so einiges probiert... Hochnehmen, sich zu ihm legen und streicheln, behutsam nähern, mal etwas forscher (ging immer nach hinten los), aber nichts half. Er war einfach kein Kuschelkater. Ich musste mir viele "schlaue" Ratschläge anhören... 

Du musst ihn einfach mal packen und ganz lange festhalten. Man muss ihn zu seinem Glück zwingen. Immer streicheln, auch wenn er nicht will.

Die Liste der gut gemeinten Ratschläge ist lang. 

 

Es ist nicht so, dass er überhaupt keine Streicheleinheiten zuließ. Im Gegenteil! Er liebt sie. Aber bitte nur auf wohlbedacht ausgesuchten Plätzchen. Zum Beispiel auf seinem Stuhl, auf dem Fußboden, draußen im Gras... nur eben nicht auf der Couch, oder im Bett. Und von selber sowieso nicht, man musste schon immer zu ihm kommen. Aber das haben wir sehr geduldig mitgemacht - immer in der Hoffnung, dass es sich doch noch ändert. Manchmal ist er tatsächlich ganz vorsichtig ins Bett gesprungen. Dann hieß es: NICHT BEWEGEN! Ja keine falsche Bewegung und ja nicht zu nahe kommen. Ich glaube, ich hab von jedem Mal, wo er bei mir im Bett geschlafen hat, einen Fotobeweis, so besonders waren diese Momente…

Die ersten vorsichtigen Streicheleinheiten auf „seinem“ Stuhl. Er genießt mit Bedacht!
Die ersten vorsichtigen Streicheleinheiten auf „seinem“ Stuhl. Er genießt mit Bedacht!

Geduld ist der Schlüssel zum Glück

Irgendwann - also nach ca. 5 Jahren - haben wir die Situation akzeptiert. Streicheln und Kuscheln nur, wo und wann er es will. Eigentlich ist das ja bei allen Katzen so. Ihr Charakter ist eigenwillig und man kann sie zu nichts zwingen.

 

Doch plötzlich geschah ein Wunder: Moritz sprang selbstverständlicherweise zu mir ins Bett und will gestreichelt werden!!! Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Ich kenne diesen Kater nicht! Ist das mein Moritz?! 

Ich habe absolut keine Ahnung, was mit ihm passiert ist. Liegt es daran, dass er älter wird? Oder merkt er, dass wir keine unterbewussten "Ansprüche" mehr an ihn stellen und ihn vollkommen, so wie er ist, akzeptiert haben? Anscheinend hat er Gefallen an dieser neuen Situation gefunden, in der wir ihn total in Ruhe lassen und nur noch auf Annäherungsversuche seinerseits reagieren. Somit kann er sein Tempo selbst bestimmen.

Trotzdem bleibt er Moritz und behält seine Instinkte. Er bleibt nie über Nacht im Bett, so wie Pamuk es tut. Er würde sich nie auf der Couch in meine Arme kuscheln - viel zu wenig Fluchtmöglichkeiten. Und Festhalten geht sowieso überhaupt nicht. Ganz klar! 

Dennoch genieße ich jeden einzelnen Moment, wenn er sich zu mir kuschelt. Dabei denke ich so oft daran, was passiert wäre, wenn er zu einer anderen Familie gekommen wäre. Ich habe sehr viel Verständnis für scheue Katzen, vor allem seit ich verstanden habe, woher dieses Verhalten kommt. Es hat absolut nichts mit uns persönlich zu tun, sondern mit seinen Erlebnissen in der Prägungsphase. Ich weiß nicht, welche Erfahrungen er vor dem Tierheim mit Menschen gemacht hat. Ich hoffe sehr, dass es keine schlechten waren. 

Nach fast 6 Jahren hat er wohl genügend gute Erfahrungen mit uns gemacht, um uns zumindest ein wenig zu vertrauen. Wer weiß… vielleicht schläft er in 5 Jahren die ganze Nacht in meinem Arm… aber kein Druck!

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